Wie soll es weitergehen mit Europa ?
Liebe Europa-Freunde/innen,
ich muss zugeben, dass ich in den letzten Wochen eine regelrechte Schreibblockade hatte. Negative Meldungen in Innen-und Außenpolitik häuften sich im neuen Jahr genauso wie Ende des alten Jahres. Was gab es auch Positives aus Europa zu berichten?
Für Europa-Skeptiker ist der krasse Korruptionsskandal „Qatargate“ Wasser auf ihre Mühlen. Für die EU-Parlamentarier war es ein regelrechter Schock, der über alle Parteigrenzen schnell zu einer Reaktion geführt hat. Möglichst schnell, noch vor der nächsten Europawahl 2024, wird eine unabhängige Ethik-Kommission gebildet, die dafür sorgen soll, dass mehr Transparenz beim sog. Lobbying gewährleistet ist.
Korruption mit mafiösen Strukturen und kriminelle Handlungen von gewählten EU-Parlamentariern müssen umgehend vermieden werden. Das EU-Parlament sollte ein Vorbild für die die nationalen Parlamente sein und bleiben. Denn in einigen nationalen Parlamenten bzw. Regierungen der EU-Mitglieder gibt es leider immer noch zu genüge Korruption mit autokratischen Tendenzen.
Mit einer koordinierten EU-Asylpolitik tritt man schon jahrelang auf der Stelle. Ein gemeinsames und solidarisches Handeln der EU-Staaten ist immer noch in weiter Sicht, mit dem traurigen Ergebnis, dass nach wie vor monatlich hunderte von Migranten auf gefährlichen Fluchtrouten ihr Leben verlieren. Positiv, ja erstaunlich ist es, dass in Folge des Ukraine-Krieges hunderttausende Flüchtlinge nun auch in den osteuropäischen EU-Staaten, insbesondere Polen, aufgenommen werden. Spielen da Herkunft und Hautfarbe doch eine wichtigere Rolle?
Apropos Ukraine: Dieser Angriffskrieg Putins spielt nun schon seit über einem Jahr die überwiegende Rolle in den Medien, und lässt viele innenpolitische Probleme einiger EU-Staaten in den Hintergrund treten. Für mich ist es immer mehr beängstigend, wie sehr sich eine schlimme Kriegsrhetorik auf allen Seiten gefährlich verstärkt, nicht nur von den russischen Staatmedien, sondern auch von den westlichen Medien befeuert wird. Andererseits finde ich die pazifistische Initiative von S. Wagenknecht und A. Schwarzer für eine sofortige Beendigung von westlichen Waffenlieferungen unrealistisch, ja, mehr als blauäugig.
Soll das ukrainische Volk sich dann ohne Widerstand ergeben mit der Aufgabe seiner staatlichen Existenz?
Mehr als unrealistisch finde ich aber auch die momentane Forderung der ukrainischen Führung nach einem Sieg über die russischen Truppen und ihrem vollständigen Rückzug aus dem Donbass und der Krim. Putin, der anscheinend immer noch die Mehrheit der russischen Bevölkerung hinter sich hat, wird diese Regionen, insbesondere die Krim mit einem ca. 60%igen Anteil an ethnischen Russen, nicht aufgeben, auch wenn das Völkerrecht gegen ihn spricht.
Soll ein endlos andauernder Krieg die Ukraine in eine vollständige Trümmerwüste verwandeln? Schon jetzt sieht unsere Bundesregierung den Wiederaufbau im Land als Generationenaufgabe.
Und sollen die Männer und auch Frauen in der tapfer kämpfenden ukrainischen Armee weiter bis zum Tod ausbluten, so dass für solch einen erforderlichen Wiederaufbau die Arbeitskräfte fehlen und den Familien die Väter bzw. Mütter?
Auch ist es nicht sicher, ob die USA, als militärische Hauptunterstützer, zukünftig weiter Milliarden Dollar zur Verfügung stellen werden. Jetzt schon tönen einige „America first“-Republikaner, man solle doch die enormen finanziellen Unterstützungen reduzieren oder irgendwann ganz einstellen.
Logischerweise stünden dann die EU alleine als Waffenlieferanten da, mit allen wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen in ihren Ländern, wobei sich zeigen würde, wie weit die Solidarität mit der Ukraine geht.
Es muss eine realistische Diplomatie wiederbelebt werden. Die jetzt vom Europäischen Gerichtshof ausgesprochene Anklage Putins, als Kriegsverbrecher, ist eigentlich verständlich und gut, aber ebenso
kontraproduktiv. Denn mit welchen Vertretern des Putin-Regimes kann nun die Ukraine und der Westen verhandeln?
Es müssen Wege gefunden werden aus dem jetzigen Status quo einen Waffenstillstand zu erreichen, natürlich ohne die staatliche Existenz der Ukraine zu gefährden. Und dieser Weg kann nur in Teilschritten vollzogen werden. Das Erreichen eines „befriedigenden“ Ziels wird uns Europäer leider noch längere Zeit beschäftigen.
Ihr/Euer
Bernd Schiefer